Strickgeschichten
Wollrausch und Maschenwahn
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Ob die pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen oder der
Umstand, dass es in dem alten Gemäuer, in dem ich arbeite,
im Winter so kalt ist oder beides oder gar nichts davon der
Auslöser waren? Ich weiß es nicht.
Tatsache ist jedenfalls, dass in meinem Kopf der Wunsch nach
einer warmen roten Strickjacke keimte. Gefunden
habe ich bloß keine, die mir gefiel. Entweder sahen
sie mir zu bieder aus oder sie gefielen mir, es gab
sie aber nicht in rot. Und ich meine wirklich richtig
rot. So ein Feuermelderrot, bei dem mir schon
beim Angucken warm wird.
Mein Freund B. - das ist der, der findet, dass mein selbstgebackenes Brot wie gekauft aussieht
– hat einmal festgestellt, ich sei eine Frau der Tat. Damit hat er Recht. Weil ich keine Jacke
finden konnte, die mir gefiel, habe ich selbst eine entworfen, jede Menge Papier mit Skizzen
und Berechnungen vollgekritzelt, Wolle gekauft und losgelegt. Erfreut stellte ich fest: ich kann
es noch. Stricken ist offenbar wie Fahrradfahren – das verlernt man ja auch nicht.
Nach vielen Jahren der Abstinenz bin ich von einem Tag auf den anderen dem Maschenwahn
verfallen und befinde mich im Wollrausch. Da kann ich sogar der Pandemie noch etwas
Positives abgewinnen und den Nachteil in einen Vorteil verwandeln, indem ich die Zeit nutze,
in der ich mich nicht mit Freundinnen, Freunden und Familie treffen kann - ich kann ja nicht
endlos telefonieren.
So habe ich ein altes Hobby neu entdeckt, bin auf meine Strickarbeit fokussiert und denke
nicht an Corona. Als netter Nebeneffekt entspannen sich meine verkrampften Muskeln und
sogar eine muskuläre Blockade im Rücken löste sich nach wenigen Tagen mit lautem
Knacken. Vielleicht sollte ich die Kaufquittung meiner knallroten Wolle bei der Krankenkasse
einreichen – ein chiropraktischer Eingriff wäre bestimmt teurer gewesen.
Natürlich läuft nicht alles glatt. Da ich so lange abstinent war, geht auch so Einiges schief und
ich musste bereits Gestricktes wieder aufribbeln und neu anfangen. Aber ich bleibe positiv
eingestellt und halte es mit Roosevelt, der gesagt hat, dass du daran glauben musst, dass du
es kann und schon hättest du es halb geschafft. Entweder hat der Mann nie gestrickt oder er
war darin einfach besser als ich.
Jedenfalls werde ich dafür sorgen, dass der kleine Handarbeitsladen bei mir im Ort
– wenn er hoffentlich den Lockdown überlebt – mächtig gewaltig Umsatz machen wird.
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So, jetzt muss ich aber weiterstricken, sonst ist der Winter vorbei, bevor meine „Decke zum
Rumlaufen“ fertig ist.
Illustration unter Verwendung einer Grafik von Clker-Free-Vector-Images/Pixabay
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Eine rechts, eine links
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Schon vor einiger Zeit hatte ich über den rauschhaften Zustand berichtet, in dem ich mich befinde, seit ich das Stricken wiederentdeckt habe. Man sollte meinen, dass die damit zusammenhängende Euphorie irgendwann nachlässt. Das sollte sie, tut sie aber nicht.
Ich weiß schon gar nicht mehr, wie das war, damals, als ich noch nicht jeden Tag mit den Stricknadeln herumwerkelte. Ich glaube, ich bin wollsüchtig. Anders kann ich mir nicht erklären, was gerade mit mir passiert.
Ich bin so wunderbar entspannt, wenn ich knoble und tüftle, wie ich den Faden dazu bringen könnte, sich in die von mir gewünschte Form zu verwandeln. Sogar meinem Mann ist das aufgefallen, das mit der Entspanntheit meine ich. Und das will schon etwas heißen.
Inzwischen produziere ich nicht nur Strickjacken. Nein, sogar das Sockenstricken hat seinen Schrecken verloren.
Als Kind hatte ich mir die Herstellung von Socken anhand einer für mich seinerzeit kryptisch anmutenden Anleitung selbst beigebracht, um dahergelaufene Wollreste zu verarbeiten.
Jetzt habe ich die Anleitung erneut gelesen und fand sie nicht weniger verwirrend. Aber entweder habe ich inzwischen mehr Geduld als früher (was eher unwahrscheinlich ist) oder meine Fingerfertigkeit hat sich verbessert. Wie dem auch sei, nach einigen wüsten Flüchen und aufribbeln des bereits gestrickten und viel Frustration beim Neubeginn bin ich inzwischen an einem Punkt angelangt, wo ich die Dinger auch im Schlaf stricken könnte. Erschrecken ist das!
Es kommt aber noch schlimmer: Ich stricke jetzt sogar Mützen!
Aus Resten meistens, aber immerhin Mützen.
Jetzt wollt Ihr bestimmt wissen, was denn
daran so schrecklich ist.
Das kann ich Euch sagen: Ich trage keine
Mützen. Wie bekloppt ist das denn etwas
herzustellen, von dem ich von vornherein
weiß, dass ich es nie im Leben anziehen
oder aufsetzen werde?
Ich stricke also eine Mütze und noch
eine und schaue mir gleichzeitig
kopfschüttelnd dabei zu und denke:
Marie, Du bist bescheuert. Du bist nicht
nur bescheuert, Du hast auch wirklich
Schwein.Du hast doch tatsächlich eine
Mützenliebhaberin in Deiner Umgebung,
die Dir Deine Machwerke gerne abnimmt.
Du darfst nur nicht vergessen, auch sie
hat nur einen Kopf. Schau Dich also besser mal nach weiteren Köpfen um, die Du mit Deinen Werken schmücken kannst.
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